CH: Die Schweizer Luftwaffe ist von der Nato abhängig – ohne Zusammenarbeit wäre sie «blind, taub und wehrlos», sagen Experten

Dank neuer Kampfjets mehr Sicherheit, verspricht der Bundesrat. Doch die Regierung redet die Rolle potenter Partner, welche die Schweiz dafür braucht, aus neutralitätspolitischen Gründen klein.
Im Vorfeld der Abstimmung vom 27. September ist sie wieder einmal hoch im Kurs: die Geschichte vom neutralen Land, das sich inmitten Europas und umzingelt von Nato-Staaten aufwändig selber verteidigen muss.
Die Schweiz sollte sich im Falle eines militärischen Angriffs «möglichst unabhängig von anderen Staaten oder Organisationen verteidigen können». Diese Sätze stehen zuoberst auf der Webseite des Verteidigungsdepartements VBS. Und sie werden von Befürwortern der neuen Kampfflugzeuge bei jeder Gelegenheit wiederholt.

Bloss: Von Unabhängigkeit kann keine Rede sein.

Dass die schöne Geschichte vom wehrhaften, neutralen Kleinstaat nicht der Realität im 21. Jahrhundert entspricht, ist offensichtlich.

Ohne die Nato wäre Deutschland «blind, taub und wehrlos», sagte vor einem Jahr Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, angesprochen auf die Gefahr eines amerikanischen Rückzugs aus Europa. Zum Vergleich: Deutschlands Verteidigungsausgaben sind rund zehnmal höher als jene der Schweiz. Und trotzdem gilt: Alleine geht es nicht.
Die Aussage des deutschen Spitzendiplomaten trifft deshalb eins zu eins auch auf die Schweiz zu, wie Recherchen zeigen. «Die Idee von einer möglichst autonomen Verteidigung ist ein Scherz», sagt ein Schweizer Ingenieur, der in der Kampfjetindustrie geforscht hat. Das VBS blende technologische und strategische Abhängigkeiten von der Nato aus neutralitätspolitischen Gründen aus. Anstatt der Bevölkerung das Ausmass der internationalen Kooperation verständlich zu machen, gaukle man ihr vor, man wolle möglichst unabhängig operieren. Dabei sei klar:

Die Verteidigung der Schweiz beginnt an den Grenzen Europas. Und sie kann nur im Verbund mit den Nachbarstaaten sichergestellt werden.

Eine Quelle aus der Luftwaffe bestätigt diese Einschätzung: «Unsere technologische Abhängigkeit vom Ausland ist grösser geworden.» Die Art, wie Luftangriffe durchgeführt werden und wie man sich dagegen schützen kann, habe sich in den vergangenen dreissig Jahren deutlich verändert. Die Abhängigkeit von sensorbasierten Hightech-Waffensystemen, die in den USA produziert werden, habe zugenommen.

CH Media hat mit Personen aus Luftwaffe, Nachrichtendienst und Rüstungsindustrie gesprochen. Dabei zeigt sich:

Die genauen Abläufe der Zusammenarbeit mit der Nato sind unter anderem in der «Weisung über die Klassifizierung und Behandlung des Waffensystems F/A-18 C-D Hornet 90.092d» festgelegt. Ohne den Datalink der Nato wären die F/A-18 im Ernstfall nicht voll einsatzbereit. Die US-Navy liefert ihren Partnern, darunter auch der Schweiz, einen Kryptoschlüssel, um den Datalink zu benutzen.

«Gemeinsam genutzte Kryptoschlüssel schaffen für alle Kooperationspartner einen operationellen Mehrwert, indem sie eine Leistungssteigerung in den Bereichen Präzisionsnavigation, sichere Kommunikation und Identifikation ermöglichen», bestätigt das VBS auf Anfrage. Über den Datenlink 16 der Nato sind die Schweizer Jets untereinander und mit den Schweizer Bodenstationen verbunden. Dieser Datenlink ist auch mit Nato-Streitkräften voll kompatibel. Der Datenaustausch ermöglicht daher im Konfliktfall das Durchführen gemeinsamer Operationen. Er erhöht im Gegenzug aber auch die Abhängigkeit vom Lieferanten.

2020_08_24, Die Schweizer Luftwaffe ist von der Nato abhängig

Direkter Draht zur Nato: Der Kampfjet F/A-18 der Schweizer Armee. © Keystone
Direkter Draht zur Nato: Der Kampfjet F/A-18 der Schweizer Armee.
© Keystone
CH: Die Schweizer Luftwaffe ist von der Nato abhängig – ohne Zusammenarbeit wäre sie «blind, taub und wehrlos», sagen Experten